Sonntag, 18. Januar 2009

Das Schiwago Projekt

Eine halbe Ewigkeit liegt zwischen dem noch kindlichen Betrachten des Films "Doktor Schiwago" und dem heutigen Theaterabend, verblasst inzwischen die Geschichte, zu lange her, als dass die oppulenten Bilder von damals das folgende Bühnenspiel beeinflussend überlagern könnten.
Und das war gut, so konnte ich mich ziemlich unvorbelastet auf das folgende, knapp 4 Stunden dauernde Schauspiel einlassen. Für mein Donnerstags-Abo hatte ich in weiser Vorraussicht eine Tauschkarte für's Wochenende besorgt, denn solch ein voluminöses Theaterstück erfordert die ganze Aufmerksamkeit. Nach einem langen Arbeitstag bleibt davon meist wenig übrig.

Die Bühne.
Kahle Wände, zwei sich zum Publikum neigende, schräge Ebenen, geteilt durch einen bewässerten Graben. Das optisch spärliche Bühnenbild, die Leere, weckt Neugier auf das kommende Spiel, lässt Raum für eigene Bilder. Nichts lenkt ab vom geschichtsträchtigen Geschehen um die Romanfigur Schiwago. Mehr noch, die so zweigeteilte Bühne entpuppt sich als ausdrucksstarke Metapher einer geteilten Gesellschaft und versinnbildlicht die unterschiedlichen Zeit- und Erzählebenen, zwischen denen die Akteure mal spielerisch leicht, mal gequält hin- und herspringen um dann wieder abgetrennt auf einer Seite verharren.
Der Wassergraben dient mal als Spiegel, wird zum Spielplatz für Liebende, dann wieder zum Schützengraben, wird zum symbolischen Riss sowohl durch Wünsche und Realitäten als auch durch menschliche Beziehungen, gesellschaftliche Zwänge und die Freiheit.
Die ausgeklügelte Kulisse unterstützt so hervorragend das vielschichtige Projekt des Schweizer Regisseurs Mario Portmann, die Inszenierung des Schiwago-Romans um die historischen Figuren, den Schriftsteller Boris Pasternak und seinen Verleger, den steinreichen Revolutionär Gian Giacomo Feltrinelli, zu erweitern und aufeinandertreffen zu lassen.

Das Geschehen.
Die anfänglichen Bedenken, ob ich den Theatermarathon nach einer schlafberaubten Nacht ohne lautes Schnarchen durchstehen würde, verstärkten sich im ersten, etwas konfusen Teil des Stückes. Es dauert eine Weile, bis man sich zurechtgefunden hat in den Beziehungen, in der Struktur der Zeiten, bis die Fäden gesponnen waren, sich dann immer mehr verdichteten zu einem Geflecht aus Krieg, revolutionärem Kampf und menschlichen Dramen, einem Teppich, gewebt aus Utopie und Wirklichkeit.
Meine Bedenken wurden zusehends entkräftet durch das tiefgründigen und feinsinnige Spiel der Akteure und ich wurde im weiteren Verlauf des Abends mit zunehmendem Tempo in deren Schicksal hineingezogen. Susi Wirth war für mich die heimliche Protagonistin des Stückes. Sie überzeugte mit ausdrucksstarkem Spiel als verzweifelt liebende Lara - ein absoluter Genuss ihr dabei zuzuschauen.
Portmann setzt auf leises Spiel, ersetzt laute Effektheischerei mit kluger Symbolik, mit dezentem Licht- und Schattenspiel und interressanten Klangbildern - in Zeiten dauernder Reizüberflutung eine wahre Wohltat. So wird die Kinderfreundschaft zwischen Lara und ihrem späteren Mann Pawel symbolisiert durch einen roten Ball mit weissen Punkten, es wird auch geschossen an diesem Abend, aber nicht geknallt, auf der Bühne gibt es keine Nackten und die Tode werden unblutig gestorben. Zwei Eimer über den Köpfen der Liebenden Juri und Lara betonen die Intimität der zentralen Liebesszene und entziehen sie doch den Blicken des Publikums. Die volle Aufmerksamkeit des Zuschauers ist gefordert, um aus den fantasievollen Akzenten Bilder im Kopf entstehen zu lassen.
Und die homöopathische Dosierung der Reize zeigte starke Wirkung. Eine packend inszenierte Geschichte, umgestzt von einem enorm spielfreudigen Ensemble, machte diesen vierstündigen Theaterabend zu einem kurzweiligen Erlebnis.

Fazit: ganz grosses Theater - unbedingt sehenswert !

Antony Hegarty im Kongresshaus

Ein Wunder ! Kam doch letzte Woche eine wunderbare mail angeflattert - das "Wunder von New York" kommt nach Zürich.
Kurz zuvor hatte ich noch gegoogelt und inbrünstig gehofft, einen Gig in der Nähe zu finden.
Entweder war ich zu blind oder zu ungründlich oder beides. Egal. Die Freude ist umso grösser - er kommt und singt und ich hab noch eine der wenigen guten Karten ergattert.

04.04.2009
20 Uhr
Kongresshaus Zürich


Dienstag, 13. Januar 2009

14. Wellenreiten

Von Pelly
Crossing/Yukon nach Eagle/Alaska mit dem Kajak















































































Der nächste Morgen begann genau so ungemütlich, wie der Abend zuvor geendet hatte.
Mit Sand überbackene Ham and Eggs sind nun mal nicht jedermanns Sache, dementsprechend fiel das Frühstück knapp und wortkarg aus. Die Luft war raus, mit knirschenden Zähnen machten wir uns wieder auf die Socken und paddelten ziemlich lustlos weiter. Der Himmel zeigte sich dunkel verhangen und liess nichts Gutes ahnen. Einzig die Aussicht auf unser unaufhaltsam nahendes Ziel hellte die Stimmung etwas auf - noch ca. 65 km waren bis Eagle zu bewältigen, bei guten Bedingungen konnten wir das an diesem Tag schaffen.
Bald fuhren wir zwischen dem Old Man und dem Old Woman Rock hindurch. Zwei markante Felsen ragen dort zu beiden Seiten des Flusses - rechts Old Man und am linken Ufer Old Woman.

Eine Legende erzählt von einem Indianerstamm, der früher hier gelebt hatte. Einer der Männer war mit einer fürchterlichen Megäre verheiratet. Nichts was er tat, war ihr gut genug. Sie meckerte an allem herum und als ihr Mann älter und nicht mehr so erfolgreich war, wie die jüngeren Jäger, wurde das Gemecker immer schlimmer. Eines Tages wurde es ihm unerträglich, er gab ihr einen Tritt in den Allerwertesten, worauf sie ans andere Ufer flog und sich in Stein verwandelte. Der Alte hatte nun endlich seine Ruhe, legte sich am Ufer nieder und verwandelte sich ebenfalls in Stein, auf dass er immerfort ausruhen konnte.
Es befanden sich noch ziemlich viele Felsen dies- und jenseits des Flusses...ob die wohl aus einer ähnlichen Geschichte stammten?

Jedenfalls schienen die Seelen der Beiden abgetaucht zu sein und sich immer noch heftig zu kabbeln, denn das dicke Ende erwartete uns kurz nach den Felsen in Form von respekteinflössenden Kabbelwellen. Das Wasser war aufgewühlt, tobte sich in zahllosen Strudeln aus und die Sturmböen türmten mächtige Wellenberge auf. In einer fast rechtwinkligen Linkskurve des Yukon erhob sich zudem vor unseren Augen eine stattliche Felsnase aus dem rechten Ufer und da wir uns in der rechten Fahrrinne befanden, trieben die Boote direkt darauf zu. Mist ! Das sah nicht gut aus... Spontan kam mir der Paddler in den Sinn, der wenige Monate zuvor in der Nähe gekentert war und tot auf einer Sandbank bei Eagle gefunden wurde.
Wir beschlossen, dieses Schicksal nicht teilen zu wollen und landeten erst mal an, um vom Ufer aus erst die Lage zu peilen und dann eine passende Strategie zu ergreifen.
Ziemlich schnell wurde uns klar, es blieb nur eine Möglichkeit: möglichst schnell den Fluss zu queren und in der Nähe des gegenüberliegenden Ufers in ruhigeres Fahrwasser zu kommen - bei der Flussbreite und den meterhohen Wellen kein einfaches Unterfangen.
Die ewigen Jagdgründe waren hier in Sichtweite, deshalb sprachen wir vor dem heissen Ritt über die Wellen nochmal alle Möglichkeiten durch, für den Fall, dass einer von uns auf Tauchstation gehen sollte. Die Wassertemperaturen taugten zwar vorzüglich zum Bierkühlen, aber die Chancen, bei diesen Bedingungen quicklebendig schwimmend ans Ufer zu kommen, standen nicht besonders gut und ein Boot einzufangen war hier ziemlich aussichtslos. Also nahm mich Bernd als der Erfahrenere von uns Beiden wieder mal an die Leine. Mir war ganz übel vor Angst als ich ins Boot krabbelte, doch mit dem ersten Paddelschlag wurde ich unheimlich ruhig und konzentriert und wusste nur Eines: HIER würde ich NICHT baden gehen!
Der Spuk dauerte eine gefühlte halbe Ewigkeit, vielleicht auch eine halbe Stunde, dann waren wir drüben, patschnass zwar, aber wir hatten es geschafft und das Ufer in greifbarer Nähe. Dort war die Strömung nicht mehr ganz so stark und die Wellen nicht mehr so umwerfend hoch und nach wenigen Kilometern navigierten wir uns durch die "Dozen Islands", eine Inselgruppe, die aus zwölf mehr oder weniger grossen Eilanden bestand.

Richtig weit waren wir zwar an diesem Tag noch nicht gekommen, aber wir wollten unsere Kräfte für den Endspurt schonen und beschlossen, noch mal eine Nacht am Fluss in einem nahegelegenen Fishcamp zu verbringen. Ein schmaler Weg führte steil zu den Hütten des verlassenen Camps. Ausser einem leeren Kühlhaus für die Lachse, einer Hütte mit Baumaterialien und einigen Autowracks standen dort noch ein Küchenhaus und - wir konnten unser Glück kaum fassen - eine Sauna ! Die Fenster der Kochhütte waren ringsherum mit dicker Folie zugetackert, die bei näherem Augenschein ziemlich zerschlissen aussah. Angelockt von leckeren Kochdünsten hatte wohl Meister Petz hier seine Krallen gewetzt - an mehreren Stellen immer fünf Schlitze nebeneinander waren deutliche Spuren. Innen sah es sehr aufgeräumt aus, Herd, Spüle, Tisch, Bänke, Geschirr und Werkzeug war alles gut sortiert vorhanden und der ordentlichen Holzofen in der Mitte liess auf eine warme Nacht hoffen. Allerdings pfiff ein eiskalter Wind durch die Ritzen, so dass wir uns erst mal auf die Suche nach Folie machten, um die Löcher zu flicken. Die fanden wir samt Tacker auch gleich und flugs war der Laden dicht, Tee und Essen gekocht und nachdem wir dem Bollerofen ordentlich eingeheizt hatten, nahmen wir mit Handtuch bewaffnet Kurs auf die Sauna.
Diese präsentierte sich als einfallsreiches Tüftlerkunstwerk, erfüllte aber nach dem ersten Probelauf 100%ig seinen Zweck. Herrlich war es, nach diesem anstrengenden Tag die müden Knochen im heissen Dampf zu entspannen, in den kalten Fluss zu hüpfen und abschliessend nach der Dusche in warme, trockene Klamotten zu schlüpfen.
Zurück im Folienhaus breiteten wir unser Lager kurzerhand neben dem Ofen auf dem Boden aus, zündenten noch eine Laterne an und kuschelten uns in die warmen Schlafsäcke.
An Schlaf war jedoch kaum zu denken. Der Wind rüttelte an dem dünnwandigen Häuschen, pfiff durch die Ritzen und brachte die Bäume draussen zum ächzen, dass mir ganz mulmig wurde. Immer wieder horchte ich in die unruhige Nacht hinaus und mit Bangen dachte ich an den nächsten Tag.

Mittwoch, 7. Januar 2009

13. Forty Mile

Von Pelly Crossing/Yukon nach Eagle/Alaska mit dem Kajak























































































Besonders zu schätzen gelernt hab ich im Yukon, dass fast alle Trapperhütten von jedem vorrübergehend genutzt werden können, sofern sie nicht grade von Jägern belegt sind. Meistens befinden sich mehrere Blockhütten an einem Ort; eine davon ist üblicherweise für Gäste - meist Kanuten oder andere Jäger - ausgewiesen. Vorraussetzung für die Benutzung ist selbstverständlich das Verlassen der Hütte in einem Zustand, in dem sie vorgefunden wurde.
Cassiar Creek ist im Besitz des Paares Cor Guimond und Agata Franczak, beide Trapper und Musher. Es sah so aus, als ob schon längere Zeit niemand mehr da gewesen wäre. In der Hütte fanden wir einige Exemplare der beliebten "Dawson City Girls Calender", welche Agata Franczak 2004 kreiert hatte, um ihre Teilnahme am Yukon Quest zu finanzieren.
Die Durchführung ist sehr teuer - nur die besten Hunde und Musher haben eine Chance, sich auf den ersten Ränge zu platzieren, d.h., die Hunde müssen ganzjährig aufwändig betreut und trainiert werden und hochwertiges Futter erhalten. Dafür winkt dem Sieger ein Preisgeld von 35.000 US-Dollar, und er kann damit übers Jahr die Kosten für Hunde und Lebensunterhalt bestreiten.

Das Rennen führt über 1.600 km und dauert je nach Wetterlage und Kondition der Musher und ihrer Schlittenhunde 10 bis 14 Tage. Die Strecke führt entlang dem historischen Klondike Gold Rush. Die Musher müssen ihre Ausrüstung selbst auf dem Schlitten transportieren und dürfen keine Hilfe von außen erhalten außer in Dawson City, wo sie die Hälfte der Strecke hinter sich gebracht haben.

Nachdem ich wieder zu Hause war, erfuhr ich, dass Agata 2006 im Alter von 51 Jahren verstorben war. Sie hatte Krebs.

Obwohl der Herbst langsam Einzug hielt und die Temperaturen nachts schon Richtung Gefrierpunkt sanken, wärmte sich die Luft tagsüber bei Sonnenschein T-Shirt tauglich auf. Während der drei Tage, die wir auf dem Anwesen verbrachten, machten wir einige Exkursionen ins Hinterland. Wir erkundeten den Bachlauf des Cassiar Creek, wo früher nach Gold geschürft wurde und fanden einen - leider - verlassenen Biberbau. Auf Tierpfaden schlugen wir uns durch dichtes Buschwerk auf die angrenzenden Berge, aber ausser Mücken und Vögeln begegnete uns kein einziges Tier. Frische Tierspuren fanden wir viele - ständig begleitete uns das gar nicht so unangenehme Gefühl, dass die Bären, Wölfe und Elche kurz vor uns da waren und in angemessenem Abstand vor uns hertrabten.
Auf einem der Berge stiessen wir mitten im Dickicht zufällig auf eine alte, verfallene Goldgräberhütte samt Gerätschaften - vergessene Artefakte eines harten Lebens, die in weitem Umkreis verstreut lagen.
Am dritten Tag - meine Schultern waren wieder einigermassen hergestellt - zog es uns weiter flussabwärts. Wir genossen nach ausgiebigem Frühstück noch ein Sonnenbad auf den Steinen am Fluss, bepackten dann die Boote und paddelten nach Forty Mile, wo wir einen Abstecher in die Geisterstadt an der Mündung des Forty Mile River machten.
Die Han, Vorfahren der First Nation der Tr'ondëk Hwëch'in, nutzten das Gebiet um Forty Mile seit etwa 2000 Jahren. Im Winter wurden die hier den Yukon überquerenden Karibuherden bejagt und im Frühjahr und Sommer wurde Lachsfischerei betrieben.
Seit 1998 befindet sich Forty Mile zusammen mit den historischen Stätten Fort Constantine und Fort Cudahy im gemeinsamen Besitz und unter gemeinsamer Verwaltung der Tr'ondëk Hwëch'in und der Regierung des Territoriums.
Von dem ehemals wichtigen Handelsposten und ersten Stadt im Yukon Territory existieren heute nur noch wenige der historischen Gebäude. Wir machten auf unserem Landausflug die Bekanntschaft mit einem Angehörigen der Tr'ondëk Hwëch'in First Nation, der hier siedelt, um die alten Häuser instandzuhalten und die Landschaft zu pflegen.
Allerdings hielten uns dort nicht allzu lange auf, denn Jerry, unser Fahrer aus Whitehorse, erwartete uns schon 2 Tage später in Eagle um die Boote und uns wieder zum Lake Laberge zurückzubringen. Es waren zwar nur noch 85 km bis Eagle, doch wir hatten immer noch mit starkem Wind zu kämpfen und ausserdem gab es auf dem Fluss häufig Hindernisse in Form von Schwemmholz, Untiefen und starke Strudeln, die uns etwas ausbremsten.
Am Abend fanden wir eine geeignete Kiesbank und schlugen dort wieder mal unser Zelt auf. Besonders gemütlich war es nicht, der starke Wind blies den Sand über die Insel, panierte unser Abendbrot und zwang uns zu unfreiwilligen Kriegstänzen ums Lagerfeuer. Nicht lange, und wir lagen unterm schützenden Zeltdach und kuschelten uns in die wärmenden Schlafsäcke.

Samstag, 3. Januar 2009

12. Cassiar Creek

Von Pelly Crossing/Yukon nach Eagle/Alaska mit dem Kajak















































Einer der schönsten Abschnitte des Yukon Rivers erwartete uns, als wir um 15:30 Uhr die bepackten Kajaks bestiegen, um Dawson City den Rücken zu kehren und die restlichen 160 km bis zur Alaskanischen Grenze in Angriff zu nehmen. Da es unweit des Nordpolarkreises Ende August bis ca. 23 Uhr noch hell ist, hatten wir genügend Zeit, unser angepeiltes Ziel - das 60 km entfernte Cassiar Creek - bei Tageslicht zu erreichen. Im Gegensatz zum mäandernden, labyrinthartigen Flussverlauf vor Dawson, wird der Yukon hier immer schmaler und manch hoher Berg und schroffe Fels säumt die Ufer.
Ein immer stärker werdender Sturm, der uns direkt von Norden kalt ins Gesicht blies, machte uns enorm zu schaffen und wir kamen nur sehr langsam voran. An manchen Stellen peitschten Fallwinde das Wasser auf und heftige Böen schüttelten uns und die Boote, so dass wir trotz schneller Strömung seitlich abgetrieben wurden und ein Vorwärtskommen völlig unmöglich wurde. Um das Paddel nicht dem Spiel des Sturms preiszugeben, krallte ich mich wie verrückt daran fest und so kämpften wir uns mit aller Kraft Meter für Meter durch die unzähligen Flusswindungen. Nach 2 Stunden sichteten wir endlich eine Kiesbank und legten dort eine kurze Stärkungspause ein.
Der Sturm legte sich nicht wie erhofft, sorgte aber immerhin für einen wolkenlosen Himmel. Dies hatte jedoch zur Folge, dass durch die Westkehre des Yukons die immer tiefer sinkende Sonne uns direkt in die Augen strahlte. Die Reflektionen auf der Wasseroberfläche taten ihr übriges, wir waren so geblendet, da half nicht mal mehr die Gletscherbrille.
Meine Schultern schmerzten bei jeder Bewegung und fingen an zu brennen wie Feuer; intuitiv ahnte ich, dass unsere bisher relativ leichte Tour eine abenteuerliche Wendung nehmen könnte.
Die Elemente hatten sich im wahrsten Sinne des Wortes gegen uns gewendet und es gab weit und breit keinen Ausstieg - wir mussten weiter.
Am Ende meiner Kräfte fing ich an, Sonne, Wind und Wellen zu hassen. Die trügerische Schönheit der Natur verwandelte sich immer mehr in eine Hölle und immer öfter stellte ich mir die Frage "warum machst Du das nur?"
Als meine Muskeln zu krampfen begannen und ich das Boot nicht mehr steuern konnte, nahm mich Bernd eine Weile ins Schlepptau.
Wir wussten, es konnte nicht mehr allzu weit sein, 5 oder 10 km noch, dann wären wir am Tagesziel. Wieder losgelöst von Bernd's Leine - auch er war ziemlich entkräftet - suchten wir verzweifelt und fast blind die Anlegestelle von Cassiar Creek.
Die letzten Meter wurden zur Qual, mein ganzer Oberkörper fühlte sich an wie Beton und als wir endlich das befreiende Ziel erreicht hatten, konnte ich mich kaum noch bewegen. Als Bernd mich aus dem Boot gezogen hatte, wurde ich von einem Weinkrampf geschüttelt und brach vor Erschöpfung am Ufer zitternd zusammen.
Bernd schleppte mich in eine der Trapperhütten oberhalb des Steilufers, machte ein Feuer im Ofen und bedeckte mich mit allem, was uns an Wärmendem zur Verfügung stand. Zwei Stunden vergingen, bis das Zittern allmählich aufhörte und währenddessen räumte er die Boote aus, kochte Tee und eine stärkende Suppe.
Immer noch unfähig, mich zu rühren war ich unendlich glücklich, in der heimeligen, warmen Hütte so liebevoll umsorgt zu werden.
Nachdem wir die Blockhütte bärensicher verrammelt hatten, fiel es uns nicht besonders schwer, in einen tiefen traumlosen Schlaf zu fallen.

Van Morrison - Moondance [mp3]

TV On The Radio - Wolf Like Me [mp3]
The Cure - Boys Don't Cry [mp3]