Mittwoch, 5. Mai 2010

Klassenkampf von oben

Als Verfechterin einer umfassenden Reform unseres Schulsystems im Allgemeinen und als "Züchterin akademischen Proletariats" im Speziellen werfe ich immer gerne einen Blick auf die Bildungslandschaft, auch über die Landesgrenzen hinweg, und so bleibt mir nicht verborgen, was sich in den dortigen Bildungs-Zuchtbetrieben bewegt.
Mit einem staatlichen Schulsystem assoziiert man üblicherweise eher Begriffe wie "Sitzung / setzen / sitzen bleiben / aussitzen" als "Bewegung". In Hamburg geht beides, eine geplante Schulreform bringt Bewegung  ins verstaubte System und spaltet die Elternschaft der Hansestadt. Die Besitzenden proben den Aufstand, seit zwei Jahren tobt dort ein Kampf um Privilegien und Auslese.
Nachdem Hamburg bei der letzten Pisa-Studie 2008 auf dem vorletzten Platz landete, zog der Senat und allen voran die Schulsenatorin Christa Goetsch Konsequenzen aus dem schlechten Abschneiden.
Kleinere Klassen und längeres, gemeinsames Lernen, eine 6-jährige Primarschule und Bildungschancen für ALLE, darum geht es grob bei der vom schwarz-grünen Hamburger Senat aus der Taufe gehobenen Reform.
Das klingt erst mal gut und richtungsweisend. Könnte man meinen.
Nicht so die selbsternannte Bildungselite um den Hamburger Rechtsanwalt Walter Scheuerl "Wir wollen lernen". Die Eltern-Initiative mit viel Geld, Bild-Zeitung, FDP und NPD im Rücken duldet keine Konkurenz für ihre wohlbehüteten Kinder, ein gemeinsames Lernen von Migranten-, Arbeiter- und Akademikerkindern wäre für sie unerträglich und käme dem Untergang des Abendlandes gleich.
"Wir sind laut, wenn man uns die Bildung klaut" tönt der Schlachtruf der Gucci-Eltern. So sei, meint Frau Müller-Maier-Schulze "das herangezüchtete akademische Proletariat für eine wissenschaftliche Laufbahn gar nicht befähigt", während sie milde lächelnd auf den ungebildeten Rest der Welt herabschaut. Ausserdem könne es "nicht funktionieren, wenn ein Arbeiterkind mit einem Kind eines Vorstandsvorsitzenden spielt". Besitzstandswahrung, Sicherung der Pfründe in einem ständischen und vermotteten Schulsystem, in dem der bürgerliche Nachwuchs nach unten abgeschottet werden kann, treiben die Reformgegner zum Widerstand. Pfeffersäcke geben nicht gerne ab.

WWL ("Wir wollen lernen")  hat nun mit zweifelhaften Methoden einen Sack voller Unterschriften zusammengetrommelt, ein Volksentscheid soll im Juli Klarheit bringen und den zähen Schulstreit beenden.
Ich wünsche den Hamburgern, dass der Volksentscheid ein ähnliches Ergebnis bringt wie der gegen das KKH Konstanz - mit umgekehrten Vorzeichen.

Nach dem Betrachten des folgenden Videos war ich ziemlich angewidert ob der unerträglichen Arroganz, mit der die "Elite" ihre Parolen unverblümt von der Bütt plärrt. Und ich kam zu dem Schluss, mit solchen Menschen weder spielen noch sonst in Kontakt treten zu wollen und wenn, dann nur mit Mundschutz. Pfeffersack - mir graut vor Dir. Die Initiative sollte sich umbenennen in "wir wollen alleine lernen" und ihre elitären Sprösslinge in elitäre Internate oder sonstwohin stecken.
Der Name ist jedenfalls nicht Programm, die Herrschaften haben bisher nichts gelernt und nichts verstanden. Ich befürchte, selbst Nachhilfe würde hier angesichts der verkrusteten Denkstrukturen versagen.
Setzen, sechs!


















Crosby, Stills, Nash&Young - Teach Your Children Well
Damien Dempsey - “Teachers“
Nicole Simone - "Teach Me"

2 Kommentare:

  1. ein eindrückliches beispiel dafür, wie besitzstandswahrung und lobbyismus die voraussetzungen für chancengleichheit unterdrücken. selbst wenn die schulreform gelingt, bleibt aber leider noch immer das einflußreiche beziehungsgeflecht zu überwinden. auch das wird mit harten bandagen verteidigt (siehe abmahnung).

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  2. Verkrustete Strukturen lassen sich leider meist nur mit viel Reibungsverlusten aufbrechen, aber immerhin wird hier ein erster Schritt gemacht. Bleibt zu hoffen, dass die Kinder und deren Lehrer die Arroganz der Eltern lügen strafen. Träumen darf man ja mal.

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