Samstag, 3. März 2007

Die Bleiche

Gestern abend sass ich wieder mal in der Bleiche zu einem vorzüglichen Fisch-Dinner mit anschliessendem, oberleckeren Nachtisch.
Erstaunlich, wo es im Sommer so trubelt und man schier um guten, unbesetzten Platz kämpfen muss, gähnte Leere. Freie Parkplätze und den Tisch konnten wir aussuchen zwischen "Oberrhein" und "Niederrhein". Schwäne paddelten am Fenster vorbei und der Blick aufs Wasser und das abendliche Wolkenschauspiel vermittelte eine wunderbar friedliche Stimmung. Ein wirklich paradiesisches Fleckchen, um den Wochenstress hinter sich zu lassen.
Das Personal war wohl etwas unterfordert und in den Pausen der 10-minütigen Frage-Intervallen "ist bei Ihnen alles in Ordnung" - was es durchaus war - sinnierten wir über die geschichtsträchtige Vergangenheit des Gebäudes, in welchem wir heute kulinrischen Genüssen frönen und in dem wohl früher Menschen geschwitzt und geschafft haben.
Die grossformatigen Drucke an den Wänden zeugen von einer Vergangenheit, über die uns, ausser dass hier einmal eine zelteproduzierende Fabrik florierte, recht wenig einfiel.
Dem Informationsdefizit habe ich dank Google gleich mal Abhilfe geschaffen, wurde auf diversen Seiten fündig und hab folgendes zusammengetragen:

"Die Straßen im Gewerbegebiet Stromeyersdorf direkt am Rhein in Konstanz tragen heute noch die Namen derer, die hier einst arbeiteten: Näherinnen, Weberinnen und Färber. Sie nähten, webten und färbten in flachen Manufakturgebäuden für die Zeltfabrik von Ludwig Stromeyer, der sich das Ensemble seiner Fabrikgebäude um 1905 vom Industriearchitekten Philipp Jakob Manz errichten ließ. Um einen geschlossenen Arbeitsablauf zu gewährleisten, entwarf Manz große, eingeschossige und hintereinander gestaffelte Fabrikhallen, zwischen denen Straßen verliefen, so dass das Ganze wie ein Dorf wirkte, eben Stromeyersdorf.
Der Namensgeber Ludwig Stromeyer fing im 19. Jahrhundert mit Juteverarbeitung an und es gelang ihm als erstem Unternehmer, wasserdichte Gewebe zu fabrizieren, die als Militärzelte und als Decken für die Eisenbahn und für den Privatgebrauch verarbeitet wurden. Da die Herstellung von maschinell geprägten Stoffen ein Novum war, wurde das Unternehmen nun auch international bekannt. Ab 1878 nahm Stromeyer die Produktion von Zirkus- und Schauststellerzelten auf und festigte damit seine führende Marktstellung. Zunächst in der Konstanzer Münzgasse ansässig, verlagerte er mit dem boomenden Zeltgeschäft die Produktion auf das Gelände des Lohnerhofs am rechten Rheinufer, wo sich bereits die Bleiche befand. Schon kurz nach der Jahrhundertwende errichtete das Unternehmen auf ihrem Fabrikgelände, dem Stromeyersdorf, auf über 150.000 qm eine moderne Industrieanlage, die allen Anforderungen eines Großbetriebs entsprach. Durch die ständige Expansion des Unternehmens und den damit bedingten Anforderungen an Fabrikationsräume und Lagerhallen erfuhr die Fabrikanlage eine kontinuierliche Erweiterung ihrer baulichen Anlagen bis in die 50er Jahre.

Neben den schlichten Fabrikhallen entwarf Manz die Kontorbauten im so genannten "deutschen Nationalstil", der um 1800 aufkam. Während die Bleiche als Riegel zur Rheinseite hin erhalten blieb, stellte der um 1910 erbaute Wasserturm für das Sprinklersystem in den Fabrikhallen eine weithin sichtbare Geländemarke dar.
Der Wasserturm wurde bereits in Stahlbeton gegossen, während die Fabrikhallen und die Kontorbauten noch traditionell gemauert wurden. Zusammen mit der Bleiche hat sich der Wasserturm als identifikationsstiftend für Konstanz erwiesen. Neben einigen Verwaltungsgebäuden und nur wenigen Fabrikhallen haben auch Bleiche und Wasserturm die Schließung der Zeltfabrik 1989 überstanden, denn die alten Strukturen sind nur teilweise erhalten, vor allem die ganzen eingeschossigen Fabrikhallen wurden abgerissen.
Obwohl sich die Firma in den 50er Jahren durch internationale Aufträge und Patente, wie die Textilbauten für die Olympischen Spiele 1972 in München, wirtschaftlich zu erholen schien, konnte nicht verhindert werden, daß der Großbetrieb 1973 Konkurs anmelden mußte. Doch erst im Dezember 1984, 11 Jahre nach Beginn des Konkursverfahrens, schlossen sich nach zähen Kämpfen und einem schrittweisen Abbau der Belegschaft die Türen für die letzten 250 Arbeiterinnen und Arbeiter. Heute erinnert auf dem Gebiet Stromeyersdorf noch die Bleiche und der Wasserturm an die früheren Zeiten. Sie sind eingebettet in eine Überplanung des Gebietes, die dort in den vergangenen Jahren ein neues, hochwertiges Gewerbegiet entstehen ließ."

Freitag, 2. März 2007

Hier eine Alternative zur Rente mit 67

Nach Diskussionen über die Kampagnen der Gewerkschaften gegen die Regierungspläne für die Rente mit 67 habe ich folgenden, nicht ganz ernst gemeinten, aber erfrischenden Diskussionsbeitrag gemailt bekommen:

"Ich hab soeben beschlossen „Ich will nie ins Altersheim!“

Wenn ich einmal in später Zukunft alt und klapprig bin, werde ich bestimmt nicht ins Altersheim gehen, sondern auf ein Kreuzfahrtschiff. Die Gründe dafür hat mir unsere Gesundheitsministerin Ulla Schmidt geliefert:

„Die durchschnittlichen Kosten für ein Altersheim betragen 200 EUR pro Tag.“ Ich habe eine Reservierung für das Kreuzfahrtschiff „Aida“ geprüft und muss für eine Langzeitreise als Rentner oder Rentnerin 135 EUR pro Tag zahlen (kein Witz !!!).

Nach Adam Riese bleiben mir dann noch 65 EUR pro Tag übrig.

1. Ich habe mindestens 10 freie Mahlzeiten, wenn ich in eines der Bordrestaurants wackele oder mir das Essen vom Room Service auf das Zimmer, also in die Kabine, bringen lasse.

Das heißt in anderen Worten, ich kann jeden Tag der Woche mein Frühstück im Bett einnehmen.

2. Die „Aida“ hat drei Swimmingpools, einen Fitneßraum, freie Benutzung von Waschmaschine und Trockner und sogar jeden Abend Shows.

3. Es gibt auf dem Schiff kostenlos Zahnpasta, Rasierer, Seife und Shampoo.

4. Das Personal behandelt mich wie einen Kunden, nicht wie einen Patienten. Für 15,00 € Trinkgeld extra pro Tag lesen mir die Stewards jeden Wunsch von den Augen ab.

5. Alle 8 bis 14 Tage lerne ich neue Leute kennen.

6. Fernseher defekt ? Glühbirne kaputt ? Die Bettmatratze ist zu hart oder zu weich ?

Kein Problem, das Personal wechselt es kostenlos und bedankt sich für mein Verständnis.

7. Frische Bettwäsche und Handtücher jeden Tag sind selbstverständlich und ich muß nicht einmal danach fragen.

8. Wenn ich im Altersheim falle und mir eine Rippe breche, dann komme ich ins Krankenhaus und muß gemäß der neuen Krankenkassenreform täglich dick draufzahlen.

Auf der „Aida“ bekomme ich für den Rest der Reise eine Suite und werde vom Bordarzt kostenlos behandelt.

9. Ich habe noch von keinem Fall gehört, bei dem zahlende Passagiere eines Kreuzfahrtschiffes vom Personal bedrängt oder gar misshandelt worden wären. Auf Pflegeheime trifft das nicht im gleichen Umfang zu. Nun das Beste.

Mit der „Aida“ kann ich nach Südamerika, Afrika, Australien, Japan, Asien.. wohin auch immer ich will.

Darum sucht mich in Zukunft nicht im Altersheim, sondern „just call shore to ship“ Auf der „Aida“ spare ich jeden Tag 50 EUR und muss nicht einmal mehr für meine Beerdigung ansparen. Mein letzter Wunsch ist dann nur: werft mich ein-fach über die Reling. Das ist nämlich auch kostenlos.

PS.: Falls der ein oder andere schlaue Rechner bzw. die eine oder andere schlaue
Rechnerin mit von der Partie sind, besetzen wir einfach den ganzen Kutter."

Dienstag, 27. Februar 2007

Do Make Say Think



















Auf verschlungenen Pfaden hat sich mal wieder leckere Musikbeute im Spinnennetz verfangen.

"Do Make Say Think" stand als Slogan auf einer Wand ihres ersten Probenraumes in einer alten Grundschule und schon hatte das Kind einen Namen; das war 1995.

"When you die, you'll have to leave them behind. When you keep that in mind, you'll find a love as big as the sky."
Was für ein wunderbarer Satz! Den singen "Do Make Say Think", ein Instrumental-Postrock Quintett aus dem kanadischen Toronto, als einsame Phrase in "In Mind [mp3]" auf ihrem jüngsten Album "You, You’re A History In Rust".
Was das famose Künstlerkollektiv sonst noch zu bieten hat - warmen Gitarrensound gepaart mit Bläsern und Schlagzeug in einer unverwechselbaren Klangfarbe und Songs für die Ewigkeit.

Musik, die einfach Freude bereitet:
The Universe [mp3]

Montag, 26. Februar 2007

Basler Morgenstraich

















Mein Freund, das Chaos, war auch dabei.
Das Chaos ist verlässlich und unkaputtbar.
Alles fing wie immer ganz harmlos und gut gemeint an, dann heftete es sich leise und unbemerkt an meine Fersen.



















Vorrausgehend zog sich ein miesewettertauglicher, gemütlicher Geburtstagsbrunch lindwurmartig durch den Tag bis in den frühen Abend.
Um 22:29 Uhr sollte dann unser Zug nach Basel zum Morgenstraich zuckeln. Fahrpläne steckten korrekt ausgedruckt in meinem Rucksack. 5 nach 10 fuhren wir los Richtung Stadt, ich stellte die Shrunk-Limousine vor meine Haus- und Hofwerkstatt in die Nähe des Bahnhofs mit der Absicht, dass mein Hofmechaniker bis zu unserer Rückkehr die Kiste unter sein fachmännisches Visier nimmt. Undefinierbare Klopfgeräusche bei Geschwindigkeitsverlust, stinkender Qualm aus beiden Vorderrädern und apruptes Zicken und Stehenbleiben am Berg bei der letzten Ausfahrt veranlassten mich zu dieser Massnahme. Ich warf also den Zündschlüssel mit ordnungsgemässem Handzettelauftrag in den Briefschlitz und wir trabten los zum Bahnhof.



















Als wir am Bahnsteig eintrafen, fuhr gerade ein Zug ab. Ich schaute auf die Uhr - das böse Denken war schon im Anmarsch - wir hatten aber noch 10 Minuten. Das böse Denken verflüchtigte sich wieder. Die Fahrkarten, die gar nicht mal so billig waren, schon gelöst, schauten wir noch mal auf die Fahrplantafel. Hm, da stand was anderes als auf meinem Druck. Argh! Schweizer Bahnhof in Konstanz ist was anderes als Kreuzlinger Bahnhof in Kreuzlingen - fiel es mir wie Schuppen aus den Haaren...du böser Denkfehler du!
Zug weg, Zündschlüssel weg - gekonnt...



















Das Handy, mein ungeliebter Freund, zitierte den Mechaniker zeitplanmässig hinter den Briefschlitz zum Zündschlüssel und klopfend nahmen wir die Verfolgung der Eisenbahn auf. Zürich, 00:06 Uhr, das könnten wir schaffen. Rauf auf's Gas, bei Frauenfeld runter wegen Blitzer, bis Zürich wieder rauf. 23:45 Zürich an, rein ins nächste Parkhaus, den heutigen verpassten Waldlauf als nächtlicher Züricher Strassenlauf nachgeholt, um 00:02 am Gleis 16, rein in den überfüllten Waggon und los Richtung Basel - röchel.














In Basel tobte das Leben. Alles was Beine hatte und noch mehr war unterwegs. Wir trollten uns auf einen Cafe Creme in eine der gut geräucherten Kneipen und zogen dann durch die von Trubel erfüllte, nächtliche Stadt. Zwischendurch machte immer wieder Petrus seine Schleusen auf, doch pünktlich um 4:00 Uhr schloss er sie wieder zeitgleich mit dem Verlöschen aller elektrischen Lichter der Innenstadt. Auf Kommando tauchten dann aus allen Himmelsrichtungen und Gassen pfeifend, trommelnd und gänsehauttauglich die Maskierten auf. Tausende von Menschen säumten die Strassen und verfolgten mit Blicken und Kameras das archaische Treiben.



















Stunden später - der Wettergott war uns zum Glück wohl gesonnen und es blieb trocken - fuhren wir müde, durchgefroren aber glücklich wieder nach Zürich, und von dort erstaunlicherweise ohne glühende Bremsen und Klopfgeräusche zurück nach Konstanz, wo der Schlaf der Gerechten auf uns wartete.
Schee wars!



















"You should call it entropy. Nobody knows what entropy really is, so in a debate you will always have the advantage."
John von Neumann



















Wir straichen durch den Basler Morgen

Samstag, 24. Februar 2007

Mein Wannenbad


















Es muß wieder mal sein.
Also: Ich steige hinein
In zirka zwei Kubikmeter See.
Bis übern Bauch tut es weh.
Das Hähnchen plätschert in schamlosem Ton,
Ich atme und schnupfe den Fichtenozon,
Beobachte, wie die Strömung läuft,
Wie dann clam, langsam mein Schwamm sich besäuft.
Und ich ersäufe, um allen Dürsten
Gerecht zu werden, verschiedene Bürsten.
Ich seife, schrubbe, ich spüle froh.
Ich suche auf Ausguck
Vergebens nach einem ertrinkenden Floh,
Doch fort ist der Hausjuck.
Ich lehne mich weit und tief zurück,
Genieße schaukelndes Möwenglück.
Da taucht aus der blinkenden Fläche, wie
Eine Robinsoninsel, plötzlich ein Knie;
Dann - massig - mein Bauch - eines Walfisches Speck.
Und nun auf Wellen (nach meinem Belieben
Herangezogen, davongetrieben),
Als Wogenschaum spielt mein eigenster Dreck.
Und da auf dem Gipfel neptunischer Lust,
Klebt sich der Waschlappen mir an die Brust.
Brust, Wanne und Wände möchten zerspringen,
Denn ich beginne nun, dröhnend zu singen
Die allerschwersten Opernkaliber.
Das Thermometer steigt über Fieber,
Das Feuer braust, und der Ofen glüht,
Aber ich bin schon so abgebrüht,
Daß mich gelegentlich Explosionen -
- Wenn´s an mir vorbeigeht - -
Erfreun, weil manchmal dabei was entzweigeht,
Was Leute betrifft, die unter mir wohnen.
Ich lasse an verschiedenen Stellen
Nach meinem Wunsch flinke Bläschen entquellen,
Erhebe mich mannhaft ins Duschengebraus.
Ich bück mich. Der Stöpsel rülpst sich hinaus,
Und während die Fluten sich gurgelnd verschlürfen,
Spannt mich das Bewußtsein wie himmlischer Zauber,

Mich überall heute zeigen zu dürfen,
Denn ich bin sauber. -

Joachim Ringelnatz