Der Deutsche geht durchschnittlich 18mal jährlich zum Arzt, so häufig wie nie zuvor. Das ginge aus dem neuen Arztreport der Barmer GEK hervor, sagte mir heute morgen der freundliche Nachrichtensprecher auf SWR3.
Dabei ist der Krankenstand der Niedrigste seit Einführung der Statistik anno 1970.
Wie passt das zusammen?
Eine andere Statistik sagt, aus Angst vor Arbeitsplatz-Verlust melden sich die Deutschen immer seltener krank.
Wenn ich richtig kombiniere, heisst das aber nicht, dass die Deutschen deswegen weniger krank sind, sondern dass die Krankheiten eben wegen der Angst ins Psychosomatische abdriften und sich so multiple, diffuse Krankheitsbilder entwickeln, die von den Ärzten nicht einfach behandelbar sind.
In den 8 Minuten, die ein Arzt durchschnittlich Zeit hat, einen Patienten zu behandeln, quält der sich dann noch oft durch schlecht funktionierende Computersysteme, da bleibt kaum die Zeit, dem Patienten in die Augen zu schauen. Eine ordentliche Diagnose allein aus Labor- und Gerätewerten ist m.E. in vielen Fällen nicht weiterführend, der fehlende empathischen Blick und diagnostische Mängel auf Grund einer reduktionistischen Denkweise der Schulmedizin offnet dem Drehtüreffekt Tür und Tor und die Katze beisst sich in den Schwanz.
Gut Ding braucht eben Weil. Würden sich Hausärzte statt der 8 Minuten gleich 20 Minuten pro Patienten Zeit nehmen, würde sich die Anzahl der Arztbesuche und Folgetermine drastisch dezimieren, und allen wäre geholfen. Eine nachhaltige Gesundheitssytem-Reform anstatt eines mit heisser Nadel gestrickten Gesundheitsfonds wäre ein Ansatz.
Ähnliche, verhängnisvolle Effekte erlebt man in der restlichen, schönen Arbeitswelt. Ein neues Projekt steht an, wie immer unter enormem Zeit- und Kostendruck. Man findet den kleinsten, gemeinsamen Nenner und beschränkt sich auf ein gerade noch kostenverträgliches Minimum an Ausarbeitung. Unterm Strich dieser Kosten- und Zeitreduktionsmentalität steht dann paradoxerweise immer eine Kostenexplosion, die dann von den hirngewaschenen Verantwortlichen in aberwitzig hochdotiert besetzten Gremien analysiert und schöndiskutiert wird. Und wenns gar nicht schöner werden will, dreht man am Personalkarusell.
Vor Jahren hatte ich mal einen Hausarzt, einer der letzten der alten Garde, der schaute mir erst mal tief in die Augen bevor ich ihm die Zunge rausstrecken durfte. Danach kamen die obligatorischen Fragen: "wo drückt der Schuh, wie gehts denn zuhause und auf Arbeit?" Oder: "lass di mol anschauä Mädle, Du hosch doch än dickä Hals!" Nachdem wir ein wenig geplaudert hatten, war ich kurz darauf wieder einsatzfähig oder mit einer aussagekräftigen Diagnose bei der Folgebehandlung.
Zum Leidwesen seiner Patienten begab sich Dr.Schlömann in den verdienten, vorgezogenen Ruhestand, einen Arzt mit ähnlich menschlichen Qualitäten suche ich seither erfolglos.
Ein verschleppter Prolapsus nuclei pulposi liess mich gestern an einem einzigen Tag 22,22% der durschnittlich jährlichen Arztbesuche verbrauchen. 5 Stunden hab ich damit verbraten, wenn ich die vom letzten Jahr plus Physiotherapie dazuzählte, käme das summa summarum auf locker 3 Wochen Kur. Krankgeschrieben wurde ich deshalb nie. Nachsitzen heisst die Devise, damit der Prolapsus prolapsen kann, denn häufige Fehlzeiten küren einem zur "unbrauchbaren Resource" und somit zu bevorzugten Anwärtern für den Schleudersitz.
Die nächsten Termine stehen schon im Kalender.Vielleicht sollte mir einen längsgestreiften Rolli besorgen. Zwecks dem dicken Hals, zur optischen Verschlankung.
Emily Haines & The Soft Skeleton - Dr. Blind
HEALTH - Die Slow
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